STARLESS

STARLESS ist ein multimediales Dokumentationsprojekt
von Ascan Breuer.


English


Ascan Breuer mit Rabbiner Schaul Chababo, Synagoge Babrujsk, BelarusBild: Ascan Breuer mit Rabbiner Schaul Chababo, Synagoge Babrujsk, Belarus

Story

STARLESS basiert auf den ca. 100 Briefen, die Ascan Breuers Großvater innerhalb von sieben Monaten aus Russland an seine Frau in Hamburg gesendet hatte (5. Juni 1942 bis zum 5. Januar 1942).

Sein Großvater ist zum Kriegsdienst eingezogen und berichtet nahezu täglich von seiner Reise als Soldat der Wehrmacht, die ihn im Zuge des Angriffskriegs von Babruisk (Weißrussland) über 1.500 km nach Stalingrad führt.

Dessen Frau, die Adressatin der Briefe, sitzt hochschwanger mit Ascan Breuers Vater im Bauch in Hamburg, wo gerade der Bombenkrieg beginnt…

Weitere Informationen s.u: „Inhalt der Briefe“ | „Zitate aus den Briefen“

Der Absender und die Adressatin:


Step 1: #Echtzeitreise in Social Media

Alle Briefe wurden im Zeitraum vom 5. Juni 2017 bis zum 5. Januar 2018 online veröffentlicht – jeweils auf den Tag genau 75 Jahre, nachdem sie abgeschickt worden waren.

Die Reise wurde von über 7.500 Followern in Echtzeit verfolgt: auf facebook/StarlessInStalingrad und im Web-Blog StarlessInStalingrad.com.

Seit Januar 2018 wurden so alle Briefe der Öffentlichkeit als Onlinearchiv zugänglich gemacht.

Starless-in-Stalingrad-Ascan-Breuer-Dokumentarisches-Labor-Facebook-Post

Die #Echtzeitreise in den sozialen Medien, hat das Interesse einer allgemeinen Öffentlichkeit für das Projekt auf sich gezogen, das über den deutschen Sprachraum hinausgeht.


Step 2: Crowdfunding für Recherchen

Gemeinsam mit der Social Media-Community wurde eine Crowdfunding-Initiative zur Finanzierung von Recherchen vor Ort ins Leben gerufen und erfolgreich abgeschlossen werden (Aktionszeitraum: Mitte Dezember 2017 – Mitte Februar 2018).


Step 3: Expedition nach Russland und Belarus

Mit Hilfe der durch Crowdfunding zur Verfügung gestellten Mittel, sowie mit Fördermitteln des Bundeskanzleramts (Österreich), des Kulturmagistrats der Stadt Wien, des Österreichischen Zukunftsfonds und des Austrian Cultural Forum in Moskau wurde im Mai/Juni 2018 Recherchen zwischen Kursk und Wolgograd durchgeführt.

Recherchen in Babrujsk in Weißrussland fanden im September 2019 statt – mit Unterstützung der österreichischen Botschaft in Minsk.

Siehe auch Impressionen unter „Step 5“ unten.

Absendeorte der Briefe:

Wenn die Karte nicht angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.


Step 4: Alle Briefe als E-Book

Nach Beendigung der #Echtzeitreise Anfang 2018 stehen die Briefe nun nicht nur online zur Verfügung, sondern sind auch als eBook für eReader im Handel (Amazon, Thalia, etc.) zu beziehen.

Weitere Informationen zum eBook hier.


Step 5: Entwicklung filmischer Formate

Auf Basis der Recherchen und auf kreativem „Umweg“ in Form des Fotoblogs in Social Media werden Konzepte für filmische Formate entwickelt, die auch Webserien mit einschließen.

Ascan Breuer wurde zu diesem Zweck dazu eingeladen, an Berlinale Talent 2019 teilzunehmen.

Auf Basis der Vor-Ort-Recherchen (siehe Step 3) wurden Filmkonzept und -script im Mai 2021 fertiggestellt.

Impressionen aus dem Dokumentationsmaterial:


INHALT DER BRIEFE

Vom ersten Moment der deutschen Sommeroffensive 1942 in Russland bis zum katastrophalen Scheitern im Kessel von Stalingrad hat Max Breuer als einfacher Soldat der 6. Armee einhundert Briefe an seine Frau in Hamburg geschrieben. Innerhalb von etwa 200 Tagen berichtet er ihr tagesaktuell aus unterster Perspektive, thematisch breitgefächert, persönlich und aufrichtig im Ton: Bereits in seinem ersten Brief weiht der Bankinspektor sie unverblümt ein in seine bedrückenden Impressionen von den Bloodlands:

„Am schlimmsten war es, als wir durch Polen fuhren. Dort liefen die Kinder am Zug entlang und riefen: ‚Bitte Brot!‘ Man denke mit Schrecken daran, was dieser Krieg für ein Elend über die Menschheit gebracht hat und noch bringen wird. Und jetzt naht auch schon der Tag der Geburt immer mehr. Mich quält nur der Gedanke, dass Du jetzt alle Arbeit, die damit zusammenhängt, alleine machen musst.“ (5. Juni 1942)

Die Briefe Max Breuers beginnen mit seiner Ankunft in Russland (Anfang Juni 1942), und berichten kontinuierlich während der Schlacht um Stalingrad (ab Ende August) und der Einkesselung der 6. Armee (ab Ende November), bis kurz vor Einbrechen der Roten Armee in den Kessel (Anfang Januar 1943).

In seinen Briefen berichtet Breuer ausführlich, offenherzig und sehr intim, oft kritisch und sarkastisch, und manchmal blauäugig von seinen Beobachtungen als rangloser, unerfahrener Soldat an der Ostfront – sowie auch von seinen Gefühlen und Leiden, Hoffnungen und Wünschen, die sich insbesondere um die ungewisse Geburt seines zweiten Kindes sowie das Schicksal seiner Familie in der Hansestadt im Allgemeinen drehen, wo gerade der Bombenkrieg begonnen hat:

„Nur schade, daß unser Kai auch mal Soldat werden muß. Hoffentlich ist in 20 Jahren die Welt etwas friedlicher. Ich wundere mich nur, daß sie Toni trotz seiner Plattfüsse k. v. (kriegsverwendungsfähig) geschrieben haben. Aber wir brauchen Kanonenfutter.“ (11. September 1942)

Am 20. Juli 1942 wird er in der Stadt Woronesch Zeuge der Judendeportierungen aus Ungarn:

„Interessant ist, daß sie ihre ganzen Juden aus Ungarn mitgebracht haben. Diese setzen sie hier zum Straßenbau ein. Wie ich beobachten konnte, haben die hier nichts zu lachen. Wir hatten einigen mal Wasser gegeben, sofort kamen alle angelaufen. Sofort kam der Aufseher und schlug sie mit einem Stock auseinander.“

Kritisch geht er zuweilen auch mit dem Verhalten seiner eigenen Kameraden ins Gericht. Breuer berichtet seiner Frau:

„Es wird Dich interessieren, auch mal etwas über die Kameradschaft zu hören. Das ist ein Begriff, der überall, nur nicht in der Wehrmacht existiert. Der Kamerad ist im Krieg 1914-18 gefallen, sagt eine Redewendung. Du müsstest nur mal sehen, wie die Brüder den Russen ihre letzten Hühner und Gänse vom fahrenden Auto aus abknallen. Ich habe heute mal wieder die Nase von dem verdammten Krieg gestrichen voll. Unser Weg führt immer noch südlich, wahrscheinlich kommen wir noch ans Schwarze Meer.“ (1. August 1942)

Am Ende wird er das Schicksal der vielen Millionen Opfer des Kriegs im Osten Europas teilen müssen. Als Soldat der eingeschlossenen 6. Armee schreibt Breuer seiner Frau zu Weihnachten aus dem Kessel heraus:

„Mir ist dauernd schwindelig im Kopf vor Hunger. Da wir für vier Tage ein halbes Brot empfangen haben, ist es meistens so, dass man der Versuchung nicht widerstehen kann und das Brot in den ersten beiden Tagen schon wegfrisst.“ (27. Dezember 1942)


Zitate

5. Juni 1942 (1. Brief):

„Gestern Abend sind wir nach sechs vollen Tagen an unserem Ziel angekommen. Die Gegend hier ist öde und trostlos. Am schlimmsten war es, als wir durch Polen fuhren. Dort liefen die Kinder am Zug entlang und riefen: ‚Bitte Brot!‘ Man denke mit Schrecken daran, was dieser Krieg für ein Elend über die Menschheit gebracht hat und noch bringen wird.“

12. Juli 1942:

„Du machst Dir keine Vorstellung, in welchen elenden Behausungen die Menschen hier leben. Einfache halb verfallene Strohhütten sind die Behausungen. Dazwischen leben halb verhungerte Menschen in zerrissenen Kleidern. Auf den Feldern und in den Wäldern treiben sich wild aussehende Kinder, die scheinbar keine Eltern und kein Zuhause haben, herum.“

20. Juli 1942:

„Wir liegen direkt neben einem Lager von Ungarn. Hier wimmelt es von Un-garn. Interessant ist, daß diese ihre ganzen Juden aus Ungarn mitgebracht haben. Diese setzen sie hier zum Straßenbau ein. Wie ich beobachten konnte, haben die hier nichts zu lachen. Wir hatten einigen mal Wasser ge-geben, sofort kamen alle angelaufen. Sofort kam der Aufseher und schlug sie mit einem Stock auseinander.“

1. August 1942:

„Wenn man so den ganzen Tag auf Russlands Straßen, die meistens nur von Panzern aufgewühlte Feldwege mit unendlich vielen Schlaglöchern sind, gefahren ist, ist man abends gerädert. Die Straßen sind von verendeten Pferden gesäumt. Es kommt einem manchmal der Ekel, wenn man diese von Fliegen und Würmern ausgefressenen Kadaver sieht, die außerdem einen widerlichen Geruch verbreiten.“

3. August 1942:

„Heute haben wir nun unsere Fahrt fortgesetzt. Auf dieser Fahrt habe ich das Schrecklichste gesehen, was der Krieg bringt. Unser Weg führte durch ein Gelände, wo vor einigen Tagen eine Schlacht war. Unzählige tote Russen und Pferde lagen umher und verbreiteten einen schlimmen Gestank. Heute morgen war ich gerade zugegen, als 2 deutsche Soldaten beerdigt wurden. Ich möchte Dir nicht schreiben, wie die armen Kerle aussahen und welche Gedanken ich dabei hatte. Du kannst jeden Landser sprechen, alle haben nur den einen Wunsch, dass dieser verdammte Krieg bald aus ist und man in die Heimat wieder kommt. Soeben werden wieder tote Landser zu den Gräbern getragen, die man schon vorgeschaufelt hat. Mir ist nicht mehr zumute weiterzuschreiben. Ich mache den Schlamassel nur mit, um für Euch zu leben. Hoffentlich bleibt Ihr mir in der Heimat auch erhalten.“

3. August 1942:

„Der Brief Nr. 26, den ich Dir heute morgen geschrieben habe, wird Dich bestimmt traurig gestimmt haben. Aber da war ich einer augenblicklichen Stimmung unterworfen und habe den Fehler gemacht, sie Dir mitzuteilen. Um mich brauchst Du Dir nicht die geringsten Sorgen zu machen. Ich bin ja ein Anfänger beim Kommiss, deshalb hatten die vielen Toten auch so einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, aber mit der Zeit wird man auch abgehärteter. Wenn ich mal wieder zu Hause bin, werde ich mich sehr geändert haben.“

1. September 1942:

„Heute gehen wir ins 4. Kriegsjahr, da hat der alte Chamberlain doch bei Kriegsbeginn recht behalten, als er erklärte, daß dieser Krieg mindestens 3-4 Jahre dauern würde. Und das nächste Kriegsjahr wird auch noch voll werden. (…) Der Russe ist ein hartnäckiger Gegner und hat eben zu viel Reserven. Du weiß ja, ich habe von Anfang an den Krieg nicht so rosig gesehen.“

11. September 1942:

„Ich habe die feste Überzeugung, daß ich wiederkommen werde. Nach dem Krieg will ich von Rußland und dem verdammten Kommiß nichts mehr wissen. Nur schade, daß unser Kai auch mal Soldat werden muß. Hoffentlich ist in 20 Jahren die Welt etwas friedlicher. Jetzt wird Toni sicher auch in Rußland sein. Ich wundere mich nur, daß sie ihn trotz seiner Plattfüsse k. v. geschrieben haben. Aber wir brauchen Kanonenfutter. Körperliche Fehler spielen keine Rolle mehr. Franzl ist ja jetzt auch im Osten. Als er seinen Kartenbrief schrieb, war ich schon etwas weiter als über den Don. Er ist vielleicht in unserer Nähe und man weiß es nicht. Von Günther bekam ich auch eine Karte. Der und sein Bruder sollen sich freuen, daß sie nicht mehr eingezogen werden. Ich möchte lieber Granaten in der Heimat drehen, als hier das Zigeunerleben in Rußland weiterführen.

24. Oktober 1942:

„So sehr ich ein Gegner vom ganzen Krieg bin, so ist es doch interessant, einen solchen Angriff von der Ferne zu überblicken.“

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